Ovidiu Anton zeigt, wie ein Künstler im Stadtraum den Energiehaushalt des White Cube durcheinanderbringen kann.
Eva Pichler, 2010



Als Gewinner des Förderungspreises des Landes Steiermark 2010 hat Ovidiu Anton viele überrascht. Kein Wunder - sind die Arbeiten des jungen Künstlers mit Wurzeln in Rumänien und seit 1991 in der Obersteiermark im Rahmen der Wettbewerbsausstellung nun erstmalig in Graz zu sehen, wo er vor seinem Studium an der Akademie der bildenden Künste in Wien auch die Ortweinschule besuchte. Mit Mikrointerventionen im Stadtraum, die in Form von Videos in den Ausstellungsraum finden, präsentierte er sich im Künstlerhaus. Eine multimediale Installation, die die Flucht des Vaters verarbeitet, wurde vor Kurzem im Kunstraum Niederösterreich gezeigt. 20 Jahre danach haben sie gemeinsam jene Stationen aufgesucht, an denen „Zeit totschlagen und Umgebung beobachten“ die Maximen des öffentlichen Handelns waren - im Grenzbereich, am temporären Zufluchtsort Wien Westbahnhof und schließlich in Traiskirchen. Die Normalität, die den hiesigen öffentlichen Raum bestimmt, habe ihn zugleich beeindruckt und verwirrt, erklärt der Vater in seinem eindrücklichen Monolog, der sich visuell über immer gleiche Bilder ins Gedächtnis prägt. Und vielleicht ist es genau diese Normalität, die Abgeklärtheit, die die Arbeiten seines Sohnes provoziert. „Jeder ist ein Teil dieser Öffentlichkeit“, so Ovidiu Anton, er selbst als Beobachter, als eine Art nächtlicher Flaneur.

Schlicht „Derivé“ nannten die Situationisten, mit denen die aktuelle Street Art-Bewegung gerne in Bezug gesetzt wird, einst ihr zielloses Umherschweifen: Die Umgebung mit anderen Augen zu sehen, interessante Punkte auszumachen, wo er gezielt seine kleinen Veränderungen platzieren möchte - so arbeitet auch Ovidiu Anton. Auf der Straße vermag er als Künstler viel unmittelbarer zu reagieren als im White Cube, der rund um die Kunst sehr viel an Energie bindet - rein weiße Sockel oder perfekt verspachtelte Wände, die dem Werk als adäquates Innenfutter bereitgestellt werden müssen. Genau an diesem Punkt setzen Ovidiu Antons Arbeiten nämlich an: Im Ausstellungsraum gibt er ein Arrangement aus perfekten Sockeln für die Benutzung durch den Betrachter frei oder zeigt ein einfaches Würfelobjekt, das in sich einzig seinen Entstehungsprozess birgt. Im öffentlichen Raum lässt er besagte Energie ganz banalen Dingen zuteil werden, die er aus dem Kreislauf entwendet, um sie später in veränderter Form wieder einzubringen. Wie eine rot-weiß-rote Absperrplanke, die er in der Werkstatt kunstvoll neu verschneidet und verleimt, damit aber auch in der Dimension verändert und sie so für ihre Funktion auf der Baustelle disqualifiziert.

Was vom White Cube im Gegenzug aufgesogen wird, ist die zelebrierte Dokumentation. Wie die Videobilder einer Nato-Flagge, die er rumänischen Hunden zur Beschäftigung anbietet. Oder die politischen Äußerungen der Straße, die er für sich aufliest - Graffitiparolen, für die im Atelier mit grellen Neonfarben und minutiösen Strichen ein Hintergrund am Papier entsteht, während die Schrift als Leerformel klafft. Bilder, die, ihrem gesellschaftlichen Kontext enthoben, langsam ausbleichen. Seine Arbeiten sieht Ovidiu Anton als Metaphern einer versteckten Gesellschaftskritik - etwa wenn er ein Säckchen mit Kümmel stiehlt, um es nach mühevoller Bestandsaufnahme des Inhalts wieder in den Warenkreislauf zurückzubringen. Auch hier ein großer Aufwand, der in keiner Relation zu Ergebnis und Sinnhaftigkeit steht. Wie Sisyphus opfert er seine Tatkraft einer künstlerischen Methode, die jedes greifbare Resultat in Frage stellt. Und die den öffentlichen Raum als Lot für den hermetischen Kunstkontext heranzieht, dessen Gesamtenergie folglich nicht konstant bleiben kann: Das abgeschlossene System des White Cube findet sich aufgebrochen, seine Energie fließt auf die Straße aus. Um angereichert mit neuer Kraft zurückzuschwappen.

Eva Pichler

Stand: Dezember 2010

erschienen auf: kulturSERVICE Steiermark, www.kulturservice.steiermark.at